Das Hamburger Modell ist eines der wichtigsten Instrumente zur Wiedereingliederung von erkrankten Arbeitnehmern in Deutschland. Es bietet sowohl Beschäftigten wie Arbeitgebern Flexibilität und Unterstützung und wirkt aus Sicht des erkrankten Mitarbeiters wertschätzend. Durch die schrittweise Steigerung der Arbeitsbelastung und die enge Zusammenarbeit aller Beteiligten im Hamburger Modell wird eine nachhaltige Rückkehr in den Arbeitsalltag ermöglicht.
Eine Studie der Techniker Krankenkasse ergab, dass mit 51 % mehr als die Hälfte der Beschäftigten in Deutschland krank zur Arbeit gehen. Als Hauptgründe für den sogenannten Präsentismus wurden der Arbeitsdruck im Unternehmen und fehlende Vertretungsmöglichkeiten genannt. Etwa jeder vierte Arbeitnehmer hat Angst davor, dass krankheitsbedingtes Fehlen seine Anstellung gefährdet.
Die Stiftung Gesundheitswissen berichtete im Jahr 2022 gleichzeitig, dass 40 % der Bevölkerung in Deutschland chronisch krank sind. Als chronisch krank wird ein angeschlagener Gesundheitszustand definiert, der langfristig besteht und in der Regel nicht vollständig heilbar ist. Die Symptome einer chronischen Erkrankung können über einen längeren Zeitraum anhalten oder immer wieder auftreten.
Diese und weitere Fakten zu Fehlzeiten im beruflichen Umfeld erklären, warum der Anteil langzeiterkrankter Mitarbeiter in Deutschland stetig zunimmt. Von einer Langzeiterkrankung spricht man, wenn ein Mitarbeiter mindestens 6 Wochen ununterbrochen arbeitsunfähig ist. Neben chronischen Erkrankungen gehören Krebserkrankungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu den wichtigsten Gründen für eine Langzeiterkrankung. In den letzten Jahren hat auch der Anteil an Arbeitnehmern zugenommen, die infolge einer psychischen Erkrankung lange ausfallen. Vor allem Depressionen, Angststörungen und Burn-out-Erkrankungen nehmen signifikant zu.
Fällt ein Arbeitnehmer langfristig an seinem Arbeitsplatz aus, hat dies nicht nur Auswirkungen auf den erkrankten Mitarbeiter, Arbeitgeber verlieren Arbeitskraft und Produktivität und müssen den Ausfall durch Ersatzkräfte kompensieren. Dies stört gewohnte Arbeitsabläufe und kann kostenintensiv sein. Vor diesem Hintergrund und auch aufgrund ihrer Fürsorgepflicht haben Arbeitgeber ein nachvollziehbares Interesse daran, dass ein langzeitkranker Arbeitnehmer schnell und gesund an den Arbeitsplatz zurückkehrt. Das Hamburger Modell der stufenplanmäßigen Wiedereingliederung kann hierbei eine erprobte und professionelle Hilfe darstellen.
Das Hamburger Modell, ursprünglich in den 1970er-Jahren von Siemens in München entwickelt, entstand aus der Notwendigkeit, Mitarbeitern nach längerer Krankheit den Wiedereinstieg ins Berufsleben zu erleichtern. Siemens arbeitete hierbei eng mit der Betriebskrankenkasse (SBK) zusammen, um einen stufenweisen Wiedereingliederungsplan zu entwickeln. Aufgrund seines Erfolges wurde dieser Ansatz, bekannt als stufenweise Wiedereingliederung, später vom Gesetzgeber übernommen und im Sozialgesetzbuch V verankert:
„Können arbeitsunfähige Versicherte nach ärztlicher Feststellung ihre bisherige Tätigkeit teilweise verrichten und können sie durch eine stufenweise Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit voraussichtlich besser wieder in das Erwerbsleben eingegliedert werden, soll der Arzt auf der Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit Art und Umfang der möglichen Tätigkeiten angeben und dabei in geeigneten Fällen die Stellungnahme des Betriebsarztes oder mit Zustimmung der Krankenkasse die Stellungnahme des Medizinischen Dienstes einholen. Spätestens ab einer Dauer der Arbeitsunfähigkeit von sechs Wochen hat die ärztliche Feststellung nach Satz 1 regelmäßig mit der Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit zu erfolgen.“ (Quelle: § 74 SGB V)
Das Hamburger Modell kann als eine überschaubare oder sanfte Wiedereingliederung in Stufen definiert werden. Das Hamburger Modell ermöglicht es Betroffenen, Schritt für Schritt wieder in den Berufsalltag einzusteigen, ohne sofort die volle Arbeitsbelastung tragen zu müssen.
Diese Form der Wiedereingliederung wird durch einen individuell angepassten Stufenplan geregelt, der Arbeitszeiten und Aufgabenbereiche progressiv und in enger Koordination mit dem behandelnden Arzt steigert. Während der gesamten Maßnahme gilt der Arbeitnehmer als arbeitsunfähig. Dies bedeutet, dass er rechtlich und finanziell abgesichert ist und keine Nachteile erleidet, wenn die Wiedereingliederung abgebrochen werden muss. Arbeitgebern entstehen gleichzeitig während der Wiedereingliederung im Hamburger Modell keine Kosten.
Ein wesentlicher und von allen Beteiligten geschätzter Vorteil des Hamburger Modells ist seine Flexibilität. Arbeitgeber profitieren von einer gezielten Planung der Rückkehr erkrankter Mitarbeiter. Arbeitnehmern wird die nötige Zeit und Unterstützung eingeräumt, um ihre Gesundheit wiederherzustellen.
Zudem fördert das Modell die Kooperation zwischen behandelnden Ärzten, Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Alle Beteiligten arbeiten eng zusammen, um den Wiedereinstieg optimal zu gestalten. Dies stärkt nicht nur das Vertrauen innerhalb des Unternehmens, sondern auch die Bindung der Mitarbeiter und das Employer Branding.
Damit das Hamburger Modell zur Anwendung kommen kann, müssen bestimmte arbeitsrechtliche Voraussetzungen erfüllt sein.
Im ersten Schritt muss sich der langzeiterkrankte Arbeitnehmer bereit fühlen, wieder in den Arbeitsalltag zu starten. Nach einer intensiven Besprechung mit dem behandelnden Arzt bestätigt dieser, dass der Arbeitnehmer teilweise belastbar ist und eine stufenweise Rückkehr möglich erscheint. Die teilweise Belastbarkeit wird eindeutig spezifiziert. Neben dem Zeitrahmen pro Tag werden auch Aufgaben und Verantwortungsbereiche skizziert, die der erkrankte Mitarbeiter im Rahmen des Hamburger Modells übernehmen kann.
Zusätzlich muss der Arbeitgeber bereit sein, die Wiedereingliederung zu unterstützen. Die aktive und professionelle Zusammenarbeit aller Parteien ist entscheidend für den Erfolg der Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell.
Ein spezifischer Stufenplan bildet das Herzstück des Hamburger Modells. Der Stufenplan legt fest, wie die Rückkehr in den Job im Detail gestaltet wird. Beginnend mit wenigen Stunden pro Woche, steigert der Plan schrittweise die Arbeitszeit und die Aufgabenfelder.
Je nach individuellem Genesungsfortschritt des Arbeitnehmers wird der Mitarbeiter behutsam und in Absprache mit dem behandelnden Arzt an seine alte Leistungsfähigkeit herangebracht. Rückschritte und eine Verringerung der Arbeitszeit oder der Verantwortung sind im Hamburger Modell möglich. Entscheidend ist, dass der erkrankte Arbeitnehmer nicht überlastet und seinen individuellen und persönlichen Weg findet, wieder ins Berufsleben einzusteigen.
Ein Mitarbeiter eines namhaften Automobilkonzerns, der nach einer Bandscheibenoperation aufgrund eines Rückenleidens längere Zeit krankgeschrieben war, steht vor der Wiedereingliederung. Als wertvolles Mitglied der Karosseriefertigungsabteilung kehrt er im Rahmen des Hamburger Modells an seinen Arbeitsplatz zurück.
Sein Unternehmen unterstützt eine schrittweise Wiedereingliederung des Beschäftigten. Ziel des Stufenplans ist die behutsame Wiedereingliederung, ohne erneut zu überlasten. Der Plan umfasst ergonomische Anpassungen, gestaffelte Arbeitszeiten und eine kontinuierliche Gesundheitsüberwachung.
Woche | Arbeitszeit / Tag | Aufgaben / Einschränkungen |
---|---|---|
1 | 2 | Einführung in aktuelle Arbeitsprozesse. Keine Hebetätigkeiten. |
2 | 3 | Leichte Montagearbeiten im Bereich Fertigung. Ergonomische Anpassung des Arbeitsplatzes. |
3 | 4 | Unterstützung bei den Qualitätskontrollen in der Automobilfertigung. Einlegen regelmäßiger Pausen. |
4 | 5 | Erweiterung der Tätigkeiten. Keine Überkopfarbeiten. |
5 | 6 | Teilnahme an Team-Meetings. Schrittweise Integration in reguläre Aufgaben. |
6 | 7 | Vollständige Integration in den Arbeitsalltag. Überprüfung des Gesundheitszustands. |
7 | 8 | Beenden des Wiedereingliederungsprozesses nach dem Hamburger Modell |
Wesentliche Punkte für eine erfolgreiche Wiedereingliederung des Mitarbeiters sind:
Die Beantragung der stufenweisen Wiedereingliederung erfolgt in Absprache mit dem Arzt, dem Arbeitgeber und der Reha-Einrichtung.
Der Arbeitnehmer stimmt mit seinem behandelnden Arzt einen Eingliederungsplan ab, der an seinen Genesungsfortschritt angepasst ist. Dieser Plan sollte folgende Angaben enthalten:
Der Arzt stellt den Antrag auf stufenweise Wiedereingliederung. Ärzte in Reha-Einrichtungen finden auf den Seiten der Deutschen Rentenversicherung ein Formularpaket mit Informationen, Checklisten und einem Stufenplan zum Ausfüllen (Link). Findet die Wiedereingliederung im Anschluss an eine Reha-Maßnahme statt, sollte der Antrag grundsätzlich während der Reha-Maßnahme gestellt werden.
Der Eingliederungsplan wird dem Arbeitgeber auf dem Dienstweg rechtzeitig vor Beginn der geplanten Maßnahme zugeleitet. Ebenfalls informiert werden der zuständige Sozialversicherungsträger, beispielsweise die Rentenversicherung. Der Sozialversicherungsträger muss dem Antrag auf Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell ebenso zustimmen wie der Arbeitgeber. Eine Teilnahme am Hamburger Modell ist anders als eine Wiedereingliederung nach dem BEM-Modell für beide Vertragspartner freiwillig.
Bei Zustimmung aller Beteiligten kann die stufenweise Wiedereingliederung beginnen.
Die Dauer der Wiedereingliederung kann zwischen sechs Wochen und sechs Monaten variieren, abhängig vom individuellen Fortschritt und den Absprachen im Stufenplan.
Info: Bei Beamten wird das Hamburger Modell grundsätzlich nur für eine Dauer von 6 Wochen genehmigt. Die Bezugsdauer von Krankengeld während der Wiedereingliederung darf 78 Wochen innerhalb von 3 Jahren nicht überschreiten.
Finanzielle Sicherheit spielt eine entscheidende Rolle während der Wiedereingliederung. Während der ersten sechs Wochen der Erkrankung erfolgt die Gehaltszahlung durch den Arbeitgeber. Danach erhält der Arbeitnehmer in der Regel das Krankengeld der gesetzlichen Krankenkasse. Dieses beläuft sich regulär auf 67 % des letzten Nettoentgelts. Eine reguläre Gehaltszahlung erfolgt im Hamburger Modell nicht.
Arbeitgeber spielen eine zentrale Rolle bei der Umsetzung des Hamburger Modells. Sie sind zum einen dafür verantwortlich, den individuellen Wiedereingliederungsplan bestmöglich zu unterstützen.
Hierfür müssen sie ein unterstützendes Umfeld schaffen, das die Wiedereingliederung erleichtert. Dies umfasst die Schulung von Führungskräften und Kollegen und ein generelles Bewusstsein für die Bedürfnisse von Mitarbeitern in Wiedereingliederung. Eine offene und respektvolle Unternehmenskultur und eine offene, objektive und wertschätzende Kommunikationskultur tragen maßgeblich zum Erfolg des Modells bei.
Die Dauer kann je nach individuellem Fortschritt und den im Stufenplan getroffenen Vereinbarungen zwischen sechs Wochen und sechs Monaten variieren.
Während der ersten sechs Wochen zahlt der Arbeitgeber das Gehalt weiter. Danach erhalten Arbeitnehmer in der Regel das gesetzliche Krankengeld ihrer Krankenkasse. Somit entlastet eine Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell den Arbeitgeber finanziell.
Der behandelnde Arzt muss die teilweise Belastbarkeit des erkrankten Mitarbeiters bestätigen. Zusätzlich muss der Arbeitgeber die schrittweise Rückkehr unterstützen. Letztlich muss auch der Arbeitnehmer mit einer Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell einverstanden sein.
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